In ihrer ersten Einzelausstellung in der Schweiz zeigt die namibische Künstlerin Tuli Mekondjo (*1982) eine künstlerische Praxis, in der Geschichte, Materialität und Spiritualität untrennbar miteinander verwoben sind. Ihre Arbeiten setzen sich mit der kolonialen Vergangenheit Namibias auseinander – und mit deren Nachwirkungen, die bis heute spürbar sind: kulturelle Auslöschung, Zwangsarbeit, soziale Traumata und gesellschaftliche Fragmentierung.
Im Zentrum ihres Schaffens steht die Rückgewinnung kultureller Güter und der Zugang zu kolonialen Archiven – Orte der Überlieferung, in denen jedoch häufig das Wissen und die Stimmen der Betroffenen fehlen. Mekondjo stellt die Rolle westlicher Institutionen als Verwahrende und Deutende dieser Materialien infrage und fordert Sichtbarkeit und Teilhabe für die Gemeinschaften, auf die sich diese Bestände beziehen.
In der Kunsthalle Bern zeigt sie eine eigens für die Ausstellung entwickelte, raumgreifende Installation, die sich mit europäischen Sammlungen sogenannter «crafted children» beschäftigt – in der westlichen Ethnografie als Fruchtbarkeitspuppen bezeichnet. Das Wiederherstellen von Fruchtbarkeitskanälen versteht Mekondjo als einen Akt der Heilung und als Möglichkeit, sich mit ihren Ahn:innen zu verbinden und ihnen zu gedenken. Sie rekonstruiert diese Figuren, die einst eine symbolische Rolle für Frauen spielten: den Kinderwunsch zu verkörpern. Heute sind sie nur noch in ethnografischen Museumssammlungen zu finden. In der Schweiz stellte das Musée d’ethnographie de Neuchâtel – mit dem die Künstlerin und die Kunsthalle Bern für diese Ausstellung zusammenarbeiteten – eine der seltenen namentlich überlieferten Figuren zur Verfügung: Nadula.
In einer zweiten Installation, die historische Fotografien aus europäischen Archiven einbezieht, wird die koloniale Gewalt durch Textilarbeiten, Fotografie, Video und Archivmaterial erfahrbar. So erinnert etwa die erzwungene Übernahme westlicher Kleidung und Frisuren durch namibische Hausangestellte in weissen Haushalten daran, wie kulturelle Identität auf ebenso gewaltsame und abrupte Weise ausgelöscht wurde – so, wie auch Artefakte durch Missionar:innen, Ethnograf:innen und Reisende aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen wurden. Ihr Fehlen unterbrach die Weitergabe von Wissen und Erinnerung – mit Folgen, die sich bis heute als transgenerationale Traumata in verschiedenen sozialen Gruppen Namibias zeigen.
Mekondjo setzt dem eine Gegen-Erzählung entgegen: Sie macht Erinnerung sichtbar, indem sie Archive und Bilder neu deutet – nicht im Verborgenen lässt, sondern zurückholt. Als Widerstand. Als Rückaneignung. Als Heilung.